Der Verlust des inneren Kompass im Nahost-Konflikt

Der Verlust des inneren Kompass im Nahost-Konflikt

Die Frage stellt sich immer häufiger: Haben wir den inneren Kompass im Nahost-Konflikt verloren? Sind wir noch genügend realistisch angesichts der aktuellen Lage? Da gab es den Angriff der Hamas am 07.10.2023, der tragische Bilder auf unsere Bildschirme brachte; grausame Schreckensszenarien wurden uns präsentiert und es war schnell klar: Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Zu diesem Zeitpunkt stellte das wohl fast niemand in Frage. Wieso sollte Israel auch nicht das Recht haben, sich dagegen zu wehren? Unsere Politiker, Journalisten und Medien haben es pausenlos wiederholt: Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. War das denn nicht von Anfang an klar?

Bald jedoch wurde das Bild klarer. Ah, es geht hier nicht nur um die Hamas und diesen Angriff, der am 07.10.2023 stattfand. Es geht hier um viel mehr. Viele waren sich offensichtlich nicht bewusst, was in dieser Region, speziell im Gazastreifen und im Westjordanland, vor sich ging.

Dass der Konflikt kompliziert sei, wussten auch die Journalisten; auch das wurde uns immer und immer wieder gesagt. Die Zahl der toten Israelis stieg sehr schnell von 50 auf 100 und schließlich auf 1500 an. Immer mehr Informationen wurden bekannt. Wie konnte die Hamas, die offensichtlich im Gazastreifen durch einen Zaun, der durch das israelische Militär 24/7 bewacht wurde, sowohl mit Personal als auch mittels unzähligen Kameras unbemerkt in israelisches Gebiet vordringen?

Quelle: OCHA

Offensichtlich dauerte es mehrere Stunden, gemäß Medien bis zu 6 Stunden, bis das israelische Militär vor Ort war, um diesem Angriff entgegenzuwirken. Das warf damals schon viele Fragen auf. Als dann immer mehr ans Tageslicht kam, wurde die Sache immer seltsamer. Die Opferzahlen vom 7.10.2023 wurden durch das israelische Militär nach unten korrigiert. Nun sprach man von 1200 Getöteten. Die 300 wären so stark verbrannt gewesen, dass man sie zuerst als israelische Tote gezählt hätte, es seien jedoch Hamaskämpfer gewesen. Erste Berichte kamen ans Licht, Zeugenaussagen von freigelassenen israelischen Geiseln (Yasmin Porat), die von Beschuss und getöteten israelischen Geiseln durch das israelische Militär berichteten. Man sprach von „friendly fire“. Offensichtlich wurden die Häuser, in denen sich die Hamas mit den Geiseln befand, von der israelischen IDF beschossen, was zu Opfern unter den Geiseln führte. Nun wurde vom Hannibal-Protokoll gesprochen, einer umstrittenen israelischen Militärstrategie, die darauf abzielt, Geiseln zu retten, indem bei Entführungen und Angriffen ein hoher Einsatz getätigt wird. Die Strategie beinhaltet die Bereitschaft, auch das Leben der Geiseln zu gefährden, um die Entführer zu stoppen oder festzunehmen. Später kamen Videointerviews von weiblichen israelischen Panzerbesatzungen, die vor Ort waren und berichteten, dass sie nachfragten, ob Zivilpersonen im Haus seien, worauf man ihnen sagte, wir wissen es nicht, schießen Sie einfach… was das Hannibal-Protokoll bestätigen würde. Fakt ist, dass mittlerweile bewiesen wurde, auch das IDF bestätigte dies, dass es zu getöteten israelischen Geiseln durch Panzerbeschuss kam.

Bis heute ist also unklar, wie hoch der Verlust auf israelischer Seite mitverursacht wurde im Verhältnis zu den durch die Hamas getöteten. Eine ausführliche Untersuchung würde sicherlich einiges offen legen können, aktuell liegen dazu jedoch keine offiziellen Berichte vor noch ist bekannt, ob diese bereits zugelassen wurden. Was das ganzen noch ein wenig mehr undurchschaubar macht, ist die Aussage von der New York Times, bei welcher es darum geht, dass Israel vom Angriff der Hamas bereits vor einem Jahr Bescheid wusste. Was wiederum die Frage aufwirft, weshalb das Militär so schlecht vertreten war, oder stimmen allenfalls die geäusserten Meinungen, das Militär sei zu diesem Zeitpunkt den illegalen Siedlungsbau im Westjordanland militärisch am unterstützten gewesen?

Kurze Zeit nach dem Angriff berichtete die israelische Behörde:

Ministerin für die Förderung des Status der Frau May Golan, 7. Oktober: 
„Alle Infrastrukturen Gazas müssen bis zu ihren Grundlagen zerstört und ihr Strom sofort abgeschnitten werden. Der Krieg richtet sich nicht gegen die Hamas, sondern gegen den Staat Gaza.“

Hier wird bereits zum ersten Mal nicht von der Hamas gesprochen, sondern vom Staat Gaza.

Premierminister Benjamin Netanyahu, 7. Oktober:
„… Wir werden mit großer Kraft den schwarzen Tag rächen, den sie dem Staat Israel und seinen Bürgern zugefügt haben. Wie Biyalik sagte: Rache für das Blut eines kleinen Kindes – hat noch nicht einmal Satan erdacht. Alle Orte, an denen sich die Hamas in dieser Stadt des Bösen positioniert, alle Orte, an denen sich die Hamas versteckt, operiert, werden wir in Schutthaufen verwandeln. Ich sage den Bewohnern von Gaza: Geht jetzt von dort weg. Wir werden überall und mit voller Kraft operieren.“

Verteidigungsminister Yoav Gallant, 9. Oktober 2023
Wir verhängen eine vollständige Belagerung über die Stadt Gaza. Es wird keinen Strom, kein Essen, kein Wasser, keinen Treibstoff geben, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln entsprechend

Das wurde nicht nur gesagt, sondern es folgten genau diese Taten. Mittlerweile sprechen wir von 46.000 zerstörten Wohneinheiten, was in etwa der Hälfte aller Häuser in Gaza entspricht. Von 15’000 getöteten Palästinensern darunter 6150 Kinder und 4000 Frauen sowie etwa 36.000 Verletzten. Bis zu 1,8 Millionen Menschen im Gazastreifen, oder fast 80 Prozent der Bevölkerung, werden als intern vertrieben eingestuft.

Es sprechen immer mehr Organisationen sowie auch Experten von Kriegsverbrechen, Apartheid und Genozid. Eines ist klar: Die zahllosen zivilen Opfer, die Israel im Gazastreifen und auch im Westjordanland generiert, sind sehr besorgniserregend und die Tragödien spitzen sich immer mehr zu. Humanitäre Hilfen werden nur sehr gering durchgelassen, man könnte von einem „Tropfen auf den heißen Stein“ sprechen.

Warum schweigen die Politiker mehr oder weniger weltweit und bekunden Israel ihre Unterstützung? Nehmen wir dieses Zerstören und Abschlachten der zivilen Bevölkerung in Palästina einfach hin? Haben sie den inneren Kompass verloren?

 

 

Anmerkung: 

Genozid ist ein schlimmer Vorwurf, der zwingend Beweise bedarf, diese Aussage dazu treffen folgende Experten:

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